ich möchte hier im Forum über den Befall von Paramecium caudatum mit dem parasitisch lebenden Bakterium Holospora elegans berichten. Für viele Forumsteilnehmer ist Paramecium sicher ein alt bekanntes Haustier und beliebtes Untersuchungsobjekt. Der innere Aufbau der Parameciumzelle dürfte dem Großteil des Forums bekannt sein. Manchmal findet man aber auch unerwartetes.
Alles begann 2011 bei der Durchforstung eines 10 l Aquariums, in dass ich immer meine alten Proben gieße. In dieser türkischen Mischung wächst manchmal noch interessantes heran. Diesmal schien ich jedoch Pech gehabt zu haben, denn außer großen Mengen Paramecium caudatum an der Wasseroberfläche, war da nicht viel zu holen. Einige dieser Paramecien enthielten jedoch hochbrechende Körper, die ich zuerst für Nahrungsvakuolen gehalten habe, die mit Bakterien gefüllt sind:

HV = hochbrechende "Vakuole"
Gleich mal so ein Vieh herauspipettiert und genauer betrachtet:

HV = hochbrechende "Vakuole"
Ma = Makronukleus
Man erkennt, dass scheinbar an dem Makronukleus angelagert eine ca. 15 µm große, hochbrechende Kugel liegt, die offensichtlich dicht mit Bakterien gefüllt ist:

Ma = Makronukleus
Interessanter Weise schien der Mikronukleus zu fehlen. Unter Deckglasdruck brachte ich das Exemplar zum Auslaufen, um die Bakterien mal genauer zu betrachten:

Es waren bis zu 20 µm lange Stäbchen mit zugespitzten Enden. Etwas Recherche brachte an den Tag, dass es sich um Holospora elegans handelt, einem parasitischen Bakterium, welches den Mikronukleus von Paramecium befällt. Meine Paramecium-Population war zu 20-30 % damit durchseucht. Eine ideale Ausgangslage, den Lebenszyklus von Holospora zu betrachten.
Die Infektion beginnt für Paramecium mit der Aufnahme von infektiösen Zellen von H. elegans mit der Nahrung. In der Nahrungsvakuole entgeht Holospora der sofortigen Verdauung durch ein „umprogrammieren“ der Membranproteine der Nahrungsvakuole, wodurch das fusionieren mit Lysosomen aus dem umgebenden Plasma mit der Nahrungsvakuole verhindert wird. Diese spezifische Fähigkeit lässt auf eine evolutionär alte Wirt/Parasit Beziehung schließen, welche durch den Verlauf des restlichen Lebenszyklus bestätigt wird. Die Nahrungsvakuole wird nun zum Tarnmantel und Transportvehikel für Holospora. Dazu verlässt Holospora die Nahrungsvakuole und migriert ins Plasma. Bei diesem Vorgang kleidet sich das Bakterium mit einer Hülle der ehemaligen Vakuolenmembran ein. So als Vakuole getarnt, wandert Holospora über das Aktin-Myosin-Gerüst der Zelle zum Mikronukleus. Dieser Transport wird von Holospora aktiv eingeleitet, in dem sich an einem Ende des Bakteriums ein spezielles Protein bildet, welche die Aktinpolymerisation/-depolymerisation beeinflusst. Am Mikronukleus angekommen, verschmilzt die Vakuolenmembran mit der Kernhülle des Mikronukleus und Holospora gelangt in den Kern. Ich hatte das Glück, diese Stadium des Mikronukleus sehen zu können, wenn sich das erste Bakterium dort eingenistet hat:

HE = Holospora elegans im Mikronukleus von Paramecium caudatum
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus
Es beginnt eine schnelle Vermehrungsphase im Mikronukleus, wobei sich jedoch wesentlich kleinere Zellen bilden. Diese Umwandlung der äußeren Form in Anhängigkeit des Infektionsstadiums nennt man Dimorphismus. Die kleineren Zellen sind oval und nur ca. 2 µm lang (zu sehen im 4. Bild, Teilungszustand = 4,7 µm). Es handelt sich hier um die reproduktiven Formen, welche einen aktiven Stoffwechsel besitzen und sich schnell vermehren. Nur ein Teil der neu gebildeten Holosporazellen wandelt sich in die großen, bis zu 20 µm langen, infektiösen Formen um. Während der Wachstumsphase kann der Mikronukleus von Paramecium um das 10fache seiner ursprünglichen Größe anschwellen. Dabei wird das genetische Material von Paramecium aber offensichtlich nicht geschädigt. Die von mir beobachteten, befallenen Paramecien schwammen schnell und zeigten keine "Verhaltensanomalien".
So weit, so gut, aber wie kommt Holospora wieder aus Paramecium wieder heraus und kann weitere Wirte befallen? Dieses Kunststück erfolgt bei einer einsetzenden Zellteilung von Paramecium. Dann bildet sich innerhalb des Mikronukleus eine Mitosespindel aus. Es werden dann jedoch nicht nur die Chromosomen geordnet und separiert, sondern auch die Holospora Zellen! Diese Fähigkeit ist wahrscheinlich auch auf die Fähigkeit von Holospora zurückzuführen, in den Aktin-Myosin Stoffwechsel der Wirtszelle einzugreifen. Dabei werden sehr selektiv die reproduktiven (kleinen) Formen zu den Polen der Mitosespindel gezogen, während sich die großen, infektiösen Formen in der Äquatorialebene des Mikronukleus sammeln. Dies kann man mikroskopisch auch sehr gut erkennen:

P1, P2 = Pole der Mitosespindel
RF = reproduktive Formen von Holospora elegans
IF = infektiöse Formen von Holospora elegans
Beim weiteren auseinanderdriften der neu gebildeten Tochterkerne verbleibt zwischen ihnen ein sogenannter Zwischenkörper, welcher angefüllt ist mit den infektiösen (langen) Formen von Holospora:

Ma1, Ma 2 = Makronuklei
Mi1, Mi2 = Mikronuklei
ZK = Zwischenkörper
KV = kontraktile Vakuole
Dieser Zwischenkörper wird schließlich im Plasma separiert und durch die Pellikula ausgeschleust. Mit diesem ausgeklügelten Mechanismus schafft es Holospora, sowohl in die beiden Tochterzellen nach der Teilung zu gelangen, als auch neue, infektiöse Formen in die Umwelt zu entlassen, um Neuinfektionen zu ermöglichen.
Diesen fast unglaublichen Lebenszyklus mal live zu sehen ist wirklich spannend und interessant. Das war ein besonderer Fund, an dem ich mich ziemlich festgebissen habe.
Wer mehr über den interessanten Lebenszyklus von Holospora wissen will, den möchte ich auf meinen Artikel im Mikrokosmos 2011, Heft 3, S. 129 verweisen (s. unten).
Als wenn diese Paramecium Population in dem 10 l Aquarium mit Holospora elegans nicht schon gestraft genug wäre, zeigten einige Exemplare eine weitere Auffälligkeit. Bei genauerer Betrachtung konnte ich hochbrechende „Stäbchen“ im Plasma entdecken. Isolierte man diese Exemplare, war auch zu sehen, dass der Makronukleus deformiert aussah, mit kraterförmigen Vertiefungen. Im Vergleich zu unbefallenen Paramecien, schienen die befallenen auch etwas kleiner geraten zu sein (rechtes Bild unten):


Ma = Makronukleus
BAK? = stäbchenförmige Bakterien?
Die Stäbchen selber waren bis zu 17 µm lang und 2-4 µm breit und schienen sich in einer Vakuole zu befinden (Pfeile):


Soweit ich erkennen konnte, waren in dem befallenen Paramecien ca. 5 – 10 dieser Stäbchen zu erkennen, aber interessanter Weise konnte ich nie Exemplare finden, die von Holospora und den Stäbchen gleichzeitig befallen waren. Die Natur dieser Stäbchen blieb auch mysteriös. Ich nahm erst an, dass es sich ebenfalls um parasitische Bakterien handelt, die im Plasma lebten. Jedoch konnte ich nie Teilungszustände finden. Zudem waren diese Stäbchen innen völlig homogen. Bei starkem Deckglasdruck schienen Sie zu „brechen", wobei eine auffällige Bruchform zu erkennen war:

Diese Befunde ließen mich an der Bakterionversion etwas zweifeln. Evtl. handelt es sich auch um einen Virenbefall des Makronukleus, welche die Zelle dazu veranlassen, kristalline Stoffwechselprodukte zu synthetisieren oder dass es sich um Virenkristalle handelt. Bis heute weiß ich nicht, was ich hier beobachtet habe. Ich habe meinen Fund auch nach Sergei Fokin in St. Petersburg geschickt, der mir geantwortet hat:
"Actually, such big bacteria in the cytoplasm of P. caudatum were found twice by J. Dieckmann and by my colleagues in St.Pete. The last one I also have found,
but many years ago."
Er ist also der Ansicht, dass es sich um Bakterien handelt. Weiter kamen wir dann nicht mehr, denn er hat nach Lebendproben zur Identifizierung per Genanalyse verlangt, aber meine Population war inzwischen zusammengebrochen und ich habe diese Art von Bakterien auch nicht mehr gefunden.
Dieser kleine Beitrag soll zeigen, dass man auch bei vermeintlich alltäglichen Objekten die Augen offen halten sollte und vielleicht doch das nicht alltägliche zu finden.
Viel Spass beim lesen und anschauen
Martin
Lit.:
Kreutz, M. (2011): Das Bakterium Holospora im Ciliaten Paramecium – Symbiont oder Parasit. Mikrokosmos, 100: 129 – 135.