Aspidiophorus paradoxus - Prototyp der Bauchhärlinge der Gattung Aspidiophorus

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Michael
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Aspidiophorus paradoxus - Prototyp der Bauchhärlinge der Gattung Aspidiophorus

#1 Beitrag von Michael » 9. Mai 2023, 10:04

Als Max Voigt im Jahre 1902 den Schlamm am Grund des Schlossteichs von Plön untersuchte, entdeckte er erstmal den hübschen Gastrotrichen Aspidiophorus paradoxus (VOIGT, 1902), den er wegen seines ungewöhnlichen Schuppenkleides in die neue Gattung Aspidiophorus ( = Schildträger") einordnete. Inzwischen sind etliche Aspidiophorus-Arten bekannt, aber A. paradoxus ist mit ca. 300µm Länge immer noch die größte bekannte Aspidiophorus-Art und stellt die Typ-Art dieser Gattung dar. Deshalb möchte ich diesen interessanten Bauchhärling etwas genauer vorstellen.

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Bild 1: Dorsale Schuppen

Das gesamte Tier ist mit relativ großen, rhombischen Stielschuppen bedeckt.

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Bild 2: Querschnitt

Im Querschnitt ist der Aufbau der Stielschuppen gut zu erkennen: die Schuppen sitzen mit einer kleinen Basisplatte auf der Kutikula der Tiere, von der sich ein dünner, hohler Stiel erhebt. Am Ende des Stiels sitzt eine rhombische Endplatte, die mit einem Mittelkiel versehen ist. Am hinteren Ende des Tieres sind die Endplatten der letzten Schuppenreihe meist vergrößert.
Der Pharynx der Tiere ist terminal geschwollen, der Kopf ist schwach fünflappig mit zwei getrennten Paaren Tasthaar-Büscheln.

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Bild 3: Ventrale Ansicht

Ventral fällt das starke Hypostomion hinter der Mundöffnung auf. Die beiden Wimpernbänder spalten sich am Kopf auf, die inneren Äste vereinigen sich bei der von mir untersuchten Population aber nicht. Die Zehenbasis trägt keine Schuppen, die Haftröhrchen messen etwa 50% bis 70 % der Zehenlänge und laufen spitz zu.
Sehen wir uns die Schuppen etwas genauer an:

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Bild 4: Rückenschuppen

Bei den Schuppen am Rücken erkennt man die rhombische Form der Endplatten am deutlichsten. Weniger auffällig - aber arttypisch - ist der Mittelkiel der Schuppen.

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Bild 5: Querschnitt Schuppen

Im Querschnitt wird die komplexe Geometrie der Stielschuppen deutlich - Basisplatte, Stiel und Endplatte bilden einen sehr flexiblen und stabilen Panzer. Der zusätzliche Hohlraum unter den Außenschuppen wirkt wie eine "Knautschzone" und erhöht die Schutzwirkung zusätzlich.

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Bild 6: Querschnitt Schuppenstiele

Die Stiele der Schuppen bestehen aus hohlen Röhrchen, die maximale Stabilität bei minimalem Materialaufwand gewährleisten - ein faszinierendes Beispiel für evolutionäre Optimierung.
Der Hinterleib der Tiere ist nicht vollständig mit Stielschuppen bedeckt. Vielmehr enden sie in der Aftergegend und es schließen sich einfache kleine, rundliche Kielschuppen an, die kein Hindernis für den Kot darstellen und den Tieren das bedauernswerte Schicksal der "alten Rittersleut" erspart.
Für alle nicht süddeutsch sozialisierten Leser:
Karl Valentin, 1941
"...
Mußt' ein Ritter einmal pieseln,
      Ließ er's in die Rüstung rieseln,
      Hatt' er das Visier net offen,
      Ist der arme Kerl ersoffen.
..."


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Bild 7: Beschuppung des Hinterleibs

An der Furca-Basis ragen einige (lt. Literatur 4) Stacheln in den Zehenausschnitt.
Der Kopf ist nahezu vollständig mit etwas kleineren Stielschuppen bedeckt:

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Bild 8: Kopfschuppen

Kephalion und Pleuren sind recht klein und unscheinbar.
Laut Literatur besitzt A. paradoxus drei Zähne im Pharynx:

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Bild 9: Mundbewaffnung

In den von mir untersuchten Tieren war lediglich eine gebogene Stilett-Spange zu finden, deren Spitze in das Lumen des Pharynx hineinragt und wohl zum Öffnen von Algenzellen dient, die an ihr vorbei gefördert werden. Möglicherweise beruht die Literaturangabe "drei Zähne" lediglich auf ein mikroskopisches Artefakt, da die gesamte Spange unter Umständen nicht als Ganzes in der Fokusebene liegt.
A. paradoxus ist ein häufiger Bewohner des Faulschlamms am Grund von Teichen, die mit Laubbäumen umstanden sind. Deshalb glaube ich, dass bereits viele von Euch diesen Gastrotrichen gefunden haben. Vielleicht kann ich mit diesem Beitrag dazu beitragen, Euch die Bestimmung dieser interessanten Tiere etwas zu erleichtern.

Viele Grüße

Michael

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Literatur:

Voigt,M. 1902. Die Rotatorien und Gastrotrichen der Umgebung von Ploen. Zool. Anz. 25: 673-681.
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Re: Aspidiophorus paradoxus - Prototyp der Bauchhärlinge der Gattung Aspidiophorus

#2 Beitrag von Gerald » 9. Mai 2023, 12:42

Hallo Michael,

vielen Dank für die ausgezeichneten Bilder + Dokumentation.

Die Bauchhärlinge sind ja meist schnell unterwegs. Konntest Du durch den Deckglasdruck es ruhigstellen oder hast Du eine andere Methode verwendet?

Viele Grüße.

Gerald

Michael
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Re: Aspidiophorus paradoxus - Prototyp der Bauchhärlinge der Gattung Aspidiophorus

#3 Beitrag von Michael » 9. Mai 2023, 13:25

Hallo Gerald,

für Aufnahmen mit dem 100er muss man die kleinen Freunde unbedingt mit dem Deckglas festlegen. Ich verwende dabei aber eine etwas abweichende Methode (ich habe sie mal "Deckglas-Kompressorium" genannt):

- pipettieren des Objekts mit sehr wenig Wasser auf eine Objektträger
- Vaseline auf dem Handballen dünn verstreichen und mit zwei gegenüber liegenden Deckglasrändern je einen dünnen Vaselinesteg von den Hand abstreifen
- Das Deckglas mit einer Seite schief auf den Objektträger ansetzen (das DG steht wegen der Vaseline vom OT ab und berührt den Wassertropfen noch nicht)
- Das DG mit einem Holzstäbchen vorsichtig an der anderen Seite an den OT drücken, bis der Wassertropfen sich etwas ausbreitet
- unter Mikroskopkontrolle die DG-Ränder mit dem Stäbchen gegengleich andrücken, bis der Gastrotrich festliegt. Der Wasserfilm sollte die DG-Fläche noch nicht vollständig ausfüllen, da man sonst die Schichtdicke nicht weiter verringern kann.

Durch den Gegendruck der Vaseline kann die Schichtdicke sehr kontrolliert verringert werden. Außerdem verringert sich die Schichtdicke beim Austrocknen nicht weiter und man hat ein sehr stabiles Präparat. Das oben gezeigt Präparat hat gut zwei Stunden gehalten und mir dutzende Fotos erlaubt. Wenn man die Methode mal im Griff hat, dauert die Präparaterstellung praktisch nicht länger als bei den üblichen temporären Tümpler-Präparaten, hat aber den Vorteil, dass man sehr stabile, reproduzierbare und ohne Zeitdruck benutzbare Präparate erhält.

Einfach mal ausprobieren...

Viel Grüße

Michael
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Re: Aspidiophorus paradoxus - Prototyp der Bauchhärlinge der Gattung Aspidiophorus

#4 Beitrag von Gerald » 10. Mai 2023, 09:12

Hallo Michael,

vielen Dank für den ausführlichen Einblick in Deine Arbeitsweise. Das muss ich unbedingt ausprobieren.

Viele Grüße vom Chiemsee

Gerald

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