Der Einfluss des Lichts auf die Protisten

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paramecium
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Der Einfluss des Lichts auf die Protisten

#1 Beitrag von paramecium » 3. November 2020, 20:26

Liebe Tümpler,

oft diskutiert: Das Thema "Deckglasempfindlichkeit" bei der Beobachtung der Protisten.

Bei der Beobachtung von Protozoen stelle ich immer wieder fest, dass einige Spezies eine längere Verfolgung im mikroskopischen Präparat gelegentlich nicht überleben. Einige Beispiele: Vor einigen Jahren beobachtete ich im Winter Spirostomum ambiguum, die während der Beobachtung plötzlich zerfielen. Diese Art ist eigentlich recht robust und nicht als empfindlich zu bezeichnen. Man könnte nun auf die Idee kommen, dass der Temperaturwechsel bei der Überführung ins Labor der Probe zu schaffen machte. Allerdings waren die Proben gesammelt worden an einem Novembertag bei ungewöhnlichen hohen Außentemperaturen um die 20°C. Ich habe diese Licht-Empfindlichkeit von Spirostomum bei späteren Proben aus der gleichen Fundstelle nicht mehr beobachten können und tippe auch auf einen Effekt von Umweltstreß. In den letzten beiden Jahren gingen mir in Inzigkofen wiederholt einige Dileptiden ins Netz. Die visuelle Beobachtung im Hellfeld überstanden die Exemplare längere Zeit recht gut. Sobald ich jedoch die Beleuchtung erhöhte, um kurze Belichtungszeiten für Mikrofotos zu realisieren zeigten sie spontane Zerfallserscheinungen. Noch während die ersten Fotos schon im Kasten waren, warfen sie ihren Kopf ab, das Cytoskelett zerfiel und die Zellen zerflossen regelrecht. Ähnliche Beobachtung bei Dileptiden hatte ich am Pillersee im vergangenen Jahr gemacht. Die interessante Beobachtung hier war allerdings, dass die kopflosen Exemplare im Dunkeln in die feuchte Kammer zurückgelegt, am nächsten Tag wieder hergestellt waren. Doch auch nach der Regeneration warfen sie die Kopf unter dem Einfluss des Mikroskopierlichts während der Fotosession erneut ab, um sich bis zum nächsten Tag wieder zu regenerieren.

Einen weiteren Hinweis auf die tatsächliche Ursache des plötzlichen Todes unter dem Deckglas möchte ich Euch hier mit einem Video vorstellen. Ich bitte vorsorglich um Entschuldigung für die schlechte Fokussierung. Ich war auf der Suche nach bestimmten Organellen im Präparat und hatte daher verschiedene Ebenen durchfokussiert. Ich hatte dieses Video vor einigen Jahren während der Planktonwoche in Bodman aufnehmen können. Zufällig war auch Wilhelm Foissner damals zu Gast. Es ist bisher der spektakulärste Fall eines sterbenden Protisten, den ich über die Jahre beobachten und filmisch dokumentieren konnte. Der Ciliat war mit etlichen Zoochlorellen besetzt. Auf eine nachträgliche Bestimmung möchte ich verzichten. Auch Wilhelm Foissner war sich nicht sicher.

Die Videosequenz zeigt anfänglich Aufnahmen im Phasenkontrast durch den eingeschwenkten Triple-Band Fluoreszenz-Filterwürfel, der diese Aufnahmen in einem satten Magenta tönt. Einen Weißabgleich hätte man für diesen Teil des Videos versuchen können, ich habe jedoch beschlossen, das Video auch aus Gründen der Authentizität einfach so zu zeigen, wie es aufgenommen wurde. Nach einigen Sekunden schalte ich um zum blauem LED Anregungslicht in Fluoreszenz. Sodann ist nach kurzer Zeit in einigen Bereichen ein spontanes Aufleuchten im Cytoplasma zu beobachten, begleitet von raschem Zerfall der Zellstrukturen. Eine konkrete bio-chemische Deutung möchte ich allerdings nicht wagen.

Ihr solltet das Video vermutlich ein paar Mal starten, um alle aufblitzenden Stellen zu finden.



Es ist wohl zu vermuten, dass die oft geäußerte "Deckglasempfindlichkeit" tatsächlich auf die hohe Strahlungsdosis im Präparat zurückzuführen ist. Vergleicht man die Leuchtdichte auf dem Kamerasensor bei Verwendung eines Objektivs 40x, so entspricht die Strahlungsdosis pro Flächeneinheit der 1.600-fachen Lichtmenge im Präparat selbst. Das gilt natürlich auch für Beobachtungen in Fluoreszenz oder mit dem DIC, bei dem die LED-Beleuchtung schon etwas kräftiger ausfallen muss, um gegenüber einer einfachen Hellfeld-Beleuchtung ein vergleichbar helles Bild zu erhalten. Kein Wunder, dass Protisten häufig dem Licht zu entfliehen versuchen.

Viele Grüße

Thilo
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Re: Der Einfluss des Lichts auf die Protisten

#2 Beitrag von RalfF » 3. November 2020, 22:50

Hallo Thilo,
ein interessantes Thema hast Du da aufgegriffen, das wurde im Nachbar-Forum vor einiger Zeit auch bereits kontrovers diskutiert, meiner Erinnerung nach war man sich nicht ganz einig woran es denn nun liegt, dass die Organismen platzen? Lichteinfluss, Deckglasdruck, ein hohes Sauerstoff-Milieu..., etliche Einflüsse wurden dabei andiskutiert!?
Bei eigenen Beobachtungen, unter (vermeintlich?) ähnlichen Bedingungen konnte ich z. B. Dileptiden durchaus lange unter Lichteinfluß betrachten, anderntags platzten sie rasch, so dass die Beobachtungszeit sehr kurz ausfiel! Die unterschiedliche "Sensibilität" bei ähnlich scheinenden Bedingungen kann ich bis heute nicht schlüssig deuten!?

Beste Grüße
Ralf
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Re: Der Einfluss des Lichts auf die Protisten

#3 Beitrag von SNoK » 4. November 2020, 23:03

Spannend ist vor allem die Regenarationsfähigkeit. Ich beschäftige mich seit Jahren mit Hans Driesch, einem der letzten Vitalisten, der 1941 gestorben ist. Er ist von einer entelechialen Ganzheitskausalität ausgegangen. Ich folge dem aus verschiedenen Gründen nicht so ganz, aber dennoch ist es spannend, wie Regeneration funktioniert. Allein eine sich abspulende DNS ist es in meine Augen nicht. Anbei ein Spirostomum aus meinem Aquarium...mit einem anderen kleinen Einzeller, der sich von der Seite reinmogelt.

Stephan
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Mikroskope: Leica DMRB mit Plan Fluotar und PlanApo, Leitz Dialux mit NPl
Stemi: Zeiss Stemi 508, Wild-Heerbrugg M5
Kamera: Sony alpha 6400 und 6500
Webseite: https://kralls.de
Vorstellung: viewtopic.php?f=32&t=831

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Re: Der Einfluss des Lichts auf die Protisten

#4 Beitrag von paramecium » 6. November 2020, 19:35

Hallo Stephan,

da hast Du ein Spirostomum teres und vermutlich ein Cyclidium sp. abgebildet. Auch mehrere Micronuclei Deines Spirostomum teres sind gut erkennbar (die Blasen in dem Macronucleus).

Ciliaten besitzen ja einen Kern-Dualismus, d.h. sie verfügen über einen Micronucleus, der die Funktion der Keimbahn bei der sexuellen Fortpflanzung hat (Konjugation). Aufgabe des größeren, somatischen Macronucleus ist die Produktion der RNA für das vegetative Wachstum und die Zellteilung. Heterotrichea, wie Spirostomum und Stentor, zeichnen sich durch hohe Regenerationsfähigkeit aus. Für Stentor gibt es recht alte Arbeiten, die dies eindrucksvoll dokumentieren, indem man die armen Tiere in mehrere Teile zerschnitten und beobachtet hat, wie sie sich erholen. Für Paramecium und einige Hypotricha gibt Prescott (1994) für den Macronucleus als Anzahl der Basenpaare eine Zahl mit 11 Nullen an. Der somatische Macronucleus dieser Arten besitzt damit etwa 100 mal mehr Basenpaare, als das menschlichen Genom. Die Erbinformation des Micronucleus liegt etwa in der gleichen Größenordnung wie das menschliche Genom. Wenn denen ein Bein abfällt, wächst einfach eines nach, selbst wenn man den somatischen Zellkern teilt, wie geschehen bei einigen der Experimente mit Stentor und anderen Arten. Einige Ciliaten leben offenbar sogar dann weiter, wenn man ihnen den Micronucleus entnimmt.

Ich vermute ja fast, dass man ausgehend von dem Erbgut des somatischen Kerns schon darauf schließen kann, dass diese Menge redundanter DNA im Macronucleus erklärt, weshalb Ciliaten eine solch hohe Regenerationsfähigkeit besitzen.

Literatur: D. M. Prescott, 1994. The DNA of Ciliated Protozoa. Microbiol. Reviews, p. 233-267. American Society for Microbiology.

Die Arbeit ist sicherlich schon etwas älter und sollte vermutlich auch noch einmal anhand moderner Literatur verifiziert werden. Ich denke aber an der Kernaussage ändert sich im Moment wenig.

Gruß

Thilo

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