Der Porenapparat der Desmidiaceen

Joch- und Zieralgen sowie Fädchengrünalgen
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MartinKreutz
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Der Porenapparat der Desmidiaceen

#1 Beitrag von MartinKreutz » 22. April 2016, 20:03

Liebes Forum,

vor einige vielen Jahren habe ich mal bei einem Mikroskopikertreffen in Schladming meine Beobachtungen am Porenapparat der Desmidiaceen vorgestellt. Damit das nicht alles auf meiner Festplatte dahin dämmert, stelle ich meine Befunde hier ein.

Die Schleim/Gallert-Bildung bei Desmidiaceen (und auch anderen Algen) ist ein wohl bekanntes Phänomen, wie man an folgendem Exemplar von Xanthidium antilopaeum mit seiner prächtigen Gallerthülle sehen kann:

Bild

Die Gallertbildung kann nicht nur radiärsymmetrisch wie bei Xanthidium sein, sondern auch gerichtet, z.B. am Zellenende. Dadurch resultiert eine gerichtete Bewegung der Alge, die sicher viele hier im Forum schon beobachtet haben.

Aber wie genau geht die Bildung der Gallerthülle vor sich!? Wie schafft es die Zelle die Gallerte "durch die Zellwand zu drücken"? Betrachtet man eine Desmidiacee bei hoher Vergrößerung, wie z.B. die folgende Mircasterias rotata, so erkennt man merkwürdige "Pocken" auf der Oberfläche. Es handelt sich um Poren:

Bild

Diese Poren, oder besser Porenkanäle, können leicht angefärbt werden durch den basischen Farbstoff Kristallviolett (die Gallerte/Schleim ist sauer). Dadurch können diese Kanäle in der Zellwand leicht sichtbar gemacht werden:

Bild

Ältere Zellen haben durch ihre Porenkanäle schon eine Gallertschicht ausgebildet. Zweck dieser Gallerte ist wahrscheinlich nicht nur eine Bewegung zu erzeugen, sondern auch ein Bakteriumwachtum auf der Zelloberfläche zu verhindern. Junge Zellen müssen diese Gallertschicht erst ausbilden, was man besonders schön bei Zellteilungen sehen kann. Die jüngeren Zellhälften erscheinen nach einer Färbung mit Kristallviolett heller:

Bild

Die Porenkanäle der Desmidiaceen sind komplizierte Organellen. Elektronenmikroskopisch erkennt man, dass der Porenkanal durch einen Porenfaden ausgekleidet ist, der extern in einem Porenköpfchen endet. Nach intern besitzt der Porenkanal eine Art "Stopfen", den man Porenzwiebel nennt. Das Gallertmaterial wird durch Chondriosomen herantransportiert, in den Gallerthof integriert und nach extern ausgescheiden. Dort bildet sich ein Gallertkegel (auch Gallertprisma genannt). Ich habe diesen Sachverhalt mal versucht grafisch darzustellen:

Bild

Dieser Aufbau lässt sich auch lichtmikroskopisch studieren. Als Modellorganismus habe ich Pleurotaenium trabecula verwendet. Nach Anfärbung mit Kristallviolett ergibt sich folgendes Bild einer Halbzelle:

Bild

Die Poren sind gleichmäßig über der Zelloberfläche verteilt. Nur in am Isthmus ergibt sich eine auffällige Anordnung (rechtes Bild):

Bild

Fokussiert man nun auf den Zellrand, so erkennt man, dass die Porenkanäle offensichtlich doppelt, zweischichtig erscheinen. Hier erkennt man lichtmikroskopisch den außen liegenden Porenkopf und die innen liegende Porenzwiebel:

Bild

Presst man eine lebende Zelle unter dem Deckglas, so lässt sich der Porenapparat samt Porenfaden von der Zelloberfläche abpressen. Im Idealfall (ich gebe zu, man muss einige Exemplare pressen, bis man es so sieht wie im folgenden Bild) breitet sich die abgesprengte Gallerte samt den darin eingesprengten Porenkanälen wie eine abgezogene Haut neben der Zelle aus:

Bild

Die Gallertkegel, welche aus den Porenkanälen herausquellen, bilden sogenannte Gallertprismen, wenn sie so dicht stehen, dass sie ein regelmäßiges, polygonales Muster bilden. Bei Pleurotaenium trabecula kann man dieses Muster von Gallertprismen gelegentlich auch ohne Anfärbung lichtmikroskopisch erkennen. Im folgenden Beispiel sind durch den Azimuth-Effekt des DIK nur die longitudinalen Grenzen zwischen den Gallertprismen erkennbar:

Bild

Ich weiß, dass sich viele Forumsmitglieder und -mitleser mit Desmidiaceen beschäftigen, auch aus ästhetischen Gründen. Die hier gezeigten Färbungen und Untersuchungen sind leicht durchzuführen. Vielleicht eine Anregung für eigene Versuche!?

Viel Spass beim anschauen und selber schauen!

Martin
Zuletzt geändert von MartinKreutz am 22. April 2016, 21:03, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Der Porenapparat der Desmidiaceen

#2 Beitrag von Monsti » 22. April 2016, 20:46

Hallo Martin,

Dein Beitrag ist wieder eine große Bereicherung - vielen Dank dafür! Da ich primär taxonomisch arbeite, waren mir solche Details bisher vollkommen unbekannt. Wieder dazugelernt ...

Vor einem halben Jahr hatte ich eine interessante Diskussion mit Michael Melkonian zur Gallerte, die alle Desmidiaceen umgibt. Wir waren beide der Ansicht, dass sie vor allem als Schutz vor Austrocknung und Frost dienen. Melkonian vertrat auch die Meinung, dass die Desmidiaceen ehemalige Landpflanzen sind, die ins Wasser zurückgefunden haben. Das würde erklären, warum man sie stets im seichten Wasser und mitunter sogar an bemoosten Baumstämmen in bis zu 2 m Höhe findet (z.B. Cosmarium holmiense var. integrum).

Beste Grüße
Angie
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Re: Der Porenapparat der Desmidiaceen

#3 Beitrag von MartinKreutz » 22. April 2016, 21:15

Hallo Angie,

freut mich, wenn ich das Forum bereichere, obwohl das alles schon 20 Jahre her ist!

Ich stimme da Michael Melkonian nicht zu! Das ist meiner Ansicht nach eine gewagte Hypothese. Gut, es mag genetische Hinweise auf diesen Sachverhalt geben, den ich nicht genau kenne. Meiner Ansicht nach haben sich die Desmidiaceen aus "normalen" Grünalgen entwickelt, die sich auf das Leben in einem extrem sauren und nährstoffarmen Biotop spezialisiert haben. Die symmetrischen, eingeschnittenen Formen, die wir Menschen als ästhetisch ansehen, sind vielleicht ein Resultat einer Tendenz zu einer vergrößerten Oberfläche, welche es den Desmidiaceen erleichtert, die wenigen gelösten Nährstoffe im Biotop aufzunehmen. Und die symmetrische Aufteilung in zwei Teilzellen ist vielleicht eher eine Anpassung zu einer erhöhten Teilungsrate, um Lebensräume schnneller zu besetzten. Die symmetrische Form mit zwei Teilzellen erleichtert die Zellteilung, da nur eine Zellhälfte neu gebildet werden muss. Das ist meine Sicht, als ausgewiesener nicht Desmideen Spezialist. Ich lasse mich durch Argumentationen und Fakten überzeugen!

Martin

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Re: Der Porenapparat der Desmidiaceen

#4 Beitrag von Monsti » 23. April 2016, 19:06

Hallo Martin,

Desmidiaceen sind keineswegs auf besonders saure Gewässer spezialisiert. Die meisten Arten reagieren aber sehr empfindlich auf jedweden Nährstoffeintrag. Sie lieben oligotrophes bis mäßig mesotrophes Milieu. Die reichhaltigsten Desmidiaceen-Habitate weisen Leitwerte von ca. 5-50 µS auf. Nur wenige Arte halten sich auch noch bei 130->150 µS (z.B. Closterium moniliferum und etliche Cosmarien).

"Mein Hausmoor", das Pillerseemoor z.B. ist überwiegend alkalisch (pH 7,5-7,8), in einem relativ kleinen Areal auch neutral bis subneutral (pH 6,2-7), aber zu einem großen Teil oligotroph. Unabhängig von den pH-Werten beherbergt dieses Moor mit über 100 verschiedenen Arten eine reiche Desmidiaceenflora. Sehr arm ist die Desmidiaceenflora hingegen in sehr saurem Milieu (pH < 4,5) vieler Hochmoore. Hier begegnet man vor allem Tetmemorus laevis, Netrium oblongum und etlichen Staurastrum-Arten. Selbst Netrium digitus legt sich die Karten, wenn es zu sauer wird, wohingegen es z.B. im alkalischen Teil des Pillerseemoors recht häufig vorkommt.

Ich denke, in Deutschland gibt es kaum mehr Niedermoore, die alkalisch und zugleich oligotroph sind, da sie i.d.R. intensiver Nutzung zugeführt wurden. Dort sind oligotrophe Gewässer i.d.R. auch sauer und somit nur beschränkt wirtschaftlich verwertbar.

Viele Grüße
Angie
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Re: Der Porenapparat der Desmidiaceen

#5 Beitrag von Ole » 25. April 2016, 17:41

Hallo Martin, eine fantastische Dokumentation. Die werde ich mir noch in Ruhe anschauen. Ich freue mich schon auf die Tage am Pillersee und hoffe, zum ersten Mal Zieralgen "satt" zu erleben. Viele Grüße, Ole

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