Holospora in Paramecium

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MartinKreutz
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Holospora in Paramecium

#1 Beitrag von MartinKreutz » 30. April 2016, 20:30

Liebes Forum,

ich möchte hier im Forum über den Befall von Paramecium caudatum mit dem parasitisch lebenden Bakterium Holospora elegans berichten. Für viele Forumsteilnehmer ist Paramecium sicher ein alt bekanntes Haustier und beliebtes Untersuchungsobjekt. Der innere Aufbau der Parameciumzelle dürfte dem Großteil des Forums bekannt sein. Manchmal findet man aber auch unerwartetes.
Alles begann 2011 bei der Durchforstung eines 10 l Aquariums, in dass ich immer meine alten Proben gieße. In dieser türkischen Mischung wächst manchmal noch interessantes heran. Diesmal schien ich jedoch Pech gehabt zu haben, denn außer großen Mengen Paramecium caudatum an der Wasseroberfläche, war da nicht viel zu holen. Einige dieser Paramecien enthielten jedoch hochbrechende Körper, die ich zuerst für Nahrungsvakuolen gehalten habe, die mit Bakterien gefüllt sind:

Bild
HV = hochbrechende "Vakuole"

Gleich mal so ein Vieh herauspipettiert und genauer betrachtet:

Bild
HV = hochbrechende "Vakuole"
Ma = Makronukleus

Man erkennt, dass scheinbar an dem Makronukleus angelagert eine ca. 15 µm große, hochbrechende Kugel liegt, die offensichtlich dicht mit Bakterien gefüllt ist:

Bild
Ma = Makronukleus

Interessanter Weise schien der Mikronukleus zu fehlen. Unter Deckglasdruck brachte ich das Exemplar zum Auslaufen, um die Bakterien mal genauer zu betrachten:

Bild

Es waren bis zu 20 µm lange Stäbchen mit zugespitzten Enden. Etwas Recherche brachte an den Tag, dass es sich um Holospora elegans handelt, einem parasitischen Bakterium, welches den Mikronukleus von Paramecium befällt. Meine Paramecium-Population war zu 20-30 % damit durchseucht. Eine ideale Ausgangslage, den Lebenszyklus von Holospora zu betrachten.

Die Infektion beginnt für Paramecium mit der Aufnahme von infektiösen Zellen von H. elegans mit der Nahrung. In der Nahrungsvakuole entgeht Holospora der sofortigen Verdauung durch ein „umprogrammieren“ der Membranproteine der Nahrungsvakuole, wodurch das fusionieren mit Lysosomen aus dem umgebenden Plasma mit der Nahrungsvakuole verhindert wird. Diese spezifische Fähigkeit lässt auf eine evolutionär alte Wirt/Parasit Beziehung schließen, welche durch den Verlauf des restlichen Lebenszyklus bestätigt wird. Die Nahrungsvakuole wird nun zum Tarnmantel und Transportvehikel für Holospora. Dazu verlässt Holospora die Nahrungsvakuole und migriert ins Plasma. Bei diesem Vorgang kleidet sich das Bakterium mit einer Hülle der ehemaligen Vakuolenmembran ein. So als Vakuole getarnt, wandert Holospora über das Aktin-Myosin-Gerüst der Zelle zum Mikronukleus. Dieser Transport wird von Holospora aktiv eingeleitet, in dem sich an einem Ende des Bakteriums ein spezielles Protein bildet, welche die Aktinpolymerisation/-depolymerisation beeinflusst. Am Mikronukleus angekommen, verschmilzt die Vakuolenmembran mit der Kernhülle des Mikronukleus und Holospora gelangt in den Kern. Ich hatte das Glück, diese Stadium des Mikronukleus sehen zu können, wenn sich das erste Bakterium dort eingenistet hat:

Bild
HE = Holospora elegans im Mikronukleus von Paramecium caudatum
Ma = Makronukleus
Mi = Mikronukleus

Es beginnt eine schnelle Vermehrungsphase im Mikronukleus, wobei sich jedoch wesentlich kleinere Zellen bilden. Diese Umwandlung der äußeren Form in Anhängigkeit des Infektionsstadiums nennt man Dimorphismus. Die kleineren Zellen sind oval und nur ca. 2 µm lang (zu sehen im 4. Bild, Teilungszustand = 4,7 µm). Es handelt sich hier um die reproduktiven Formen, welche einen aktiven Stoffwechsel besitzen und sich schnell vermehren. Nur ein Teil der neu gebildeten Holosporazellen wandelt sich in die großen, bis zu 20 µm langen, infektiösen Formen um. Während der Wachstumsphase kann der Mikronukleus von Paramecium um das 10fache seiner ursprünglichen Größe anschwellen. Dabei wird das genetische Material von Paramecium aber offensichtlich nicht geschädigt. Die von mir beobachteten, befallenen Paramecien schwammen schnell und zeigten keine "Verhaltensanomalien".

So weit, so gut, aber wie kommt Holospora wieder aus Paramecium wieder heraus und kann weitere Wirte befallen? Dieses Kunststück erfolgt bei einer einsetzenden Zellteilung von Paramecium. Dann bildet sich innerhalb des Mikronukleus eine Mitosespindel aus. Es werden dann jedoch nicht nur die Chromosomen geordnet und separiert, sondern auch die Holospora Zellen! Diese Fähigkeit ist wahrscheinlich auch auf die Fähigkeit von Holospora zurückzuführen, in den Aktin-Myosin Stoffwechsel der Wirtszelle einzugreifen. Dabei werden sehr selektiv die reproduktiven (kleinen) Formen zu den Polen der Mitosespindel gezogen, während sich die großen, infektiösen Formen in der Äquatorialebene des Mikronukleus sammeln. Dies kann man mikroskopisch auch sehr gut erkennen:

Bild
P1, P2 = Pole der Mitosespindel
RF = reproduktive Formen von Holospora elegans
IF = infektiöse Formen von Holospora elegans

Beim weiteren auseinanderdriften der neu gebildeten Tochterkerne verbleibt zwischen ihnen ein sogenannter Zwischenkörper, welcher angefüllt ist mit den infektiösen (langen) Formen von Holospora:

Bild
Ma1, Ma 2 = Makronuklei
Mi1, Mi2 = Mikronuklei
ZK = Zwischenkörper
KV = kontraktile Vakuole

Dieser Zwischenkörper wird schließlich im Plasma separiert und durch die Pellikula ausgeschleust. Mit diesem ausgeklügelten Mechanismus schafft es Holospora, sowohl in die beiden Tochterzellen nach der Teilung zu gelangen, als auch neue, infektiöse Formen in die Umwelt zu entlassen, um Neuinfektionen zu ermöglichen.

Diesen fast unglaublichen Lebenszyklus mal live zu sehen ist wirklich spannend und interessant. Das war ein besonderer Fund, an dem ich mich ziemlich festgebissen habe.

Wer mehr über den interessanten Lebenszyklus von Holospora wissen will, den möchte ich auf meinen Artikel im Mikrokosmos 2011, Heft 3, S. 129 verweisen (s. unten).

Als wenn diese Paramecium Population in dem 10 l Aquarium mit Holospora elegans nicht schon gestraft genug wäre, zeigten einige Exemplare eine weitere Auffälligkeit. Bei genauerer Betrachtung konnte ich hochbrechende „Stäbchen“ im Plasma entdecken. Isolierte man diese Exemplare, war auch zu sehen, dass der Makronukleus deformiert aussah, mit kraterförmigen Vertiefungen. Im Vergleich zu unbefallenen Paramecien, schienen die befallenen auch etwas kleiner geraten zu sein (rechtes Bild unten):

BildBild
Ma = Makronukleus
BAK? = stäbchenförmige Bakterien?

Die Stäbchen selber waren bis zu 17 µm lang und 2-4 µm breit und schienen sich in einer Vakuole zu befinden (Pfeile):

Bild
Bild

Soweit ich erkennen konnte, waren in dem befallenen Paramecien ca. 5 – 10 dieser Stäbchen zu erkennen, aber interessanter Weise konnte ich nie Exemplare finden, die von Holospora und den Stäbchen gleichzeitig befallen waren. Die Natur dieser Stäbchen blieb auch mysteriös. Ich nahm erst an, dass es sich ebenfalls um parasitische Bakterien handelt, die im Plasma lebten. Jedoch konnte ich nie Teilungszustände finden. Zudem waren diese Stäbchen innen völlig homogen. Bei starkem Deckglasdruck schienen Sie zu „brechen", wobei eine auffällige Bruchform zu erkennen war:

Bild

Diese Befunde ließen mich an der Bakterionversion etwas zweifeln. Evtl. handelt es sich auch um einen Virenbefall des Makronukleus, welche die Zelle dazu veranlassen, kristalline Stoffwechselprodukte zu synthetisieren oder dass es sich um Virenkristalle handelt. Bis heute weiß ich nicht, was ich hier beobachtet habe. Ich habe meinen Fund auch nach Sergei Fokin in St. Petersburg geschickt, der mir geantwortet hat:

"Actually, such big bacteria in the cytoplasm of P. caudatum were found twice by J. Dieckmann and by my colleagues in St.Pete. The last one I also have found,
but many years ago."

Er ist also der Ansicht, dass es sich um Bakterien handelt. Weiter kamen wir dann nicht mehr, denn er hat nach Lebendproben zur Identifizierung per Genanalyse verlangt, aber meine Population war inzwischen zusammengebrochen und ich habe diese Art von Bakterien auch nicht mehr gefunden.

Dieser kleine Beitrag soll zeigen, dass man auch bei vermeintlich alltäglichen Objekten die Augen offen halten sollte und vielleicht doch das nicht alltägliche zu finden.

Viel Spass beim lesen und anschauen

Martin

Lit.:

Kreutz, M. (2011): Das Bakterium Holospora im Ciliaten Paramecium – Symbiont oder Parasit. Mikrokosmos, 100: 129 – 135.
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Re: Holospora in Paramecium

#2 Beitrag von Nostoc » 1. Mai 2016, 07:10

Hallo Martin,
bei der persönlichen Bewertung deiner Beiträge gehen mir langsam die Steigerungsformen aus !
Sensationell ist hier zu tief gegriffen !
Sehr interessante finde ich die perfekte, artspezifische Anpassung von Holospora an P. caudatum (H. acuminata bei
P. bursaria im Mikrokosmos Artikel) und die Tatsache der partiellen Infektion der Population.
Gibt es mittlerweile neue Informationen zur Frage: Symbiont oder Parasit ?

Richard

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Monsti
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Re: Holospora in Paramecium

#3 Beitrag von Monsti » 1. Mai 2016, 20:00

Hallo Martin,

vielen Dank für diesen super Beitrag! Auch für mich wäre die Frage interessant, ob es sich hier um einen Parasiten/Krankheitserreger oder Symbionten handelt. Ist Deine Population möglicherweise aufgrund des Bakterienbefalls zugrunde gegangen? Dann wären die Bakterien natürlich keine Symbionten, sondern führten zu einer bakteriellen Infektion, die schließlich alle befallen und dahingerafft hat.

Beste Grüße
Angie
Der das Kleine in Ehren hält, ist des Großen umso würdiger. (Sprichwort)

MartinKreutz
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Re: Holospora in Paramecium

#4 Beitrag von MartinKreutz » 3. Mai 2016, 19:23

Hallo zusammen,

vielen Dank für euer Interesse! Auf den ersten Blick würde man sagen, dass hier eine parasitäre Beziehung vorliegt, wobei Holospora den Parasiten spielt. Es ist klar, das es die Beziehung zwischen Paramecium und Holospora schon seit einem sehr langen Zeitraum geben muss. Ein Parasit, der seinen Wirt tötet, ist ein schlechter Parasit, weil er sich den Ast abschneidet, auf dem er sitzt. Hier jedoch lebt Holospora im reproduktiven Kern des Wirtes, ohne diesen offensichtlich zu schädigen. Diese Beziehung wurde intensiv untersucht und es konnten keine direkten nachteiligen Auswirkungen für Paramecium caudatum festgestellt werden. Durch Antibiotika kann Holospora aus einer infizierten Paramecium-Population ohne Auswirkungen auf den Wirt entfernt werden. Für Holospora jedoch ist der Wirt essentiell. Es ist bisher nicht gelungen, Holospora außerhalb von Paramecium zu kultivieren. Der gesamte Lebenszyklus von Holospora ist daher eng mit dem von Paramecium verbunden, jedoch nicht umgekehrt. Ein starker Hinweis für Parasitismus ist die Tatsache, dass Paramecium über Abwehrmechanismen verfügt, die Infektion zu verhindern. In Laborexperimenten konnte gezeigt werden, dass eine 100% ige Infektion einer Paramecium Population mit Holospora nicht zu erreichen ist, da die Bakterienzellen im Zytoplasma und auch im Karyoplasma des Wirtes lysiert werden können. Wie diese zelluläre Immunabwehr funktioniert, ist nicht bekannt. In der Literatur wird jedoch oft von einer Symbiose gesprochen. Eventuell deshalb, weil man keine nachteiligen Wirkungen für Paramecium entdeckt hat und das es einen Vorteil für beide Arten gibt, den man noch nicht aufgespürt hat. Manchmal ist die positive Wirkung für die Partner nicht auf den ersten Blick sichtbar.

@Richard: Über den neusten Stand der Entwicklung bin ich leider auch nicht informiert. Leider ist noch nicht alles Artikel die man im Netz findet gratis. Ich glaube, Du weisst wovon ich rede. Aber meines Wissens wird die Beziehung Paramecium/Holospora weiterhin stark beackert, weil es da viele ungelöste und interessante Aspekte gibt. Nach der Entdeckung des CRISPR/CAS Systems in Bakterien wäre es z.B. interessant zu erfahren, wie ein Einzeller ohne Immunsystem Holospora erkennt und wieder los wird. Das wäre für die Antibiotika-Enwicklung sicher interessant.

Martin

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