Liebes Forum,
letzte Woche hatte ich ein Wiedersehen mit einem Ciliaten, auf dem ich einige Jahre herumgekaut habe, bis ich die korrekte Zuordnung hatte. Er ist daher etwas symptomatisch für meine Vorgehensweise bei harten Fällen. Es handelt sich um Apertospathula opimum, einen stattlichen, haptoriden Ciliaten, der zu den Spathidiida gehört. Meine ersten Fotos von Apertospathula opimum habe ich laut Fotoprotokoll am 13.1.2001 aufgenommen:
Diese Aufnahmen, habe ich auch in PM Vol. 3 auf S. 152 verwendet. Damals habe ich den Fund unter „Spathidium 6“ abgelegt. Als ich mit der Untersuchung des Simmelriedes begann, war ich mit derart vielen, mir völlig unbekannten Arten konfrontiert, dass ich die Funde nach der vermutlichen Gattung benannt habe und dann einfach durchnummerierte. Auf Grund der Fotos und der Lebendbeobachtung habe ich eine Bestimmung nach Kahl versucht. Ich bin jedoch gescheitert, obwohl Kahl Apertospathula unter seiner damaligen Bezeichnung Spathidium opimum beschreibt, weil ausgerechnet mein erstes fotografiertes Exemplar einen V-förmigen Makronukleus besaß, der mich auf’s Glatteis geführt hat. Außerdem habe ich mich damals hauptsächlich an den Abbildungen im Kahl orientiert und ich hatte auch keine weiteren Detailaufnahmen angefertigt. Hier die Zeichung Kahl’s von Spathidium opimum:
Im Februar 2002 habe ich dann Foissner diese Fotos geschickt. Er antwortete mir, dass es sich wahrscheinlich um Apertospathula handelt, aber auf Grund von 2 Fotos und ohne Silberimprägnierung könne man nicht mehr sagen. Woran hatte er das auf meinen Fotos erkannt? Damals wusste ich noch nicht, wie man Apertospathula von Spathidium unterscheidet und da ich auch keine Literatur dazu hatte, habe ich den Fund erst mal als „noch zu bestimmen“ abgelegt (ein übervoller Ordner auf meinem PC). Die beiden Aufnahmen von 2001 in PM Vol. 3 sind nur mit „Arcuospathidium or Apertospathula“ beschriftet. Mehr war nach der damaligen Datenlage nicht drin.
Im Jahre 2007 erschien dann „Monograph of the Spathidiida“ von Foissner und Xu. Schon im Vorfeld zur Veröffentlich dieser Monografie habe ich mich mit Foissner oft über die Spathidien unterhalten, weil ich auf einen ganzen Haufen Bildern von selten gefundenen haptoriden Ciliaten saß und er einige Bilder verwenden konnte. Dabei kam auch die Apertospathula von 2001 wieder auf den Tisch und ich erfuhr von ihm an Hand welcher Merkmale ich Apertospathula erkennen kann. Auf meinen Fotos von 2001 hat er es an den sehr langen, geraden Extrusomen erkennt. Das entscheidende Bestimmungsmerkmal ist jedoch die Form der sogenannten circumoralen Kinete. Hört sich etwas kryptisch an, aber sie ist leicht zu verstehen und man kann es im Lichtmikroskop überprüfen. Ich zeige es weiter unten. Im Januar 2007 gelang mir dann ein Foto der circumoralen Kinete von Aperthospathula wodurch dann im Zusammenhang mit den anderen Merkmalen des Ciliaten die Zuordnung Aperthospatula opimum im Februar 2007 feststand. Es war also ein längerer Weg mit Lerneffekt bis zur Zuordnung. Jetzt möchte ich aber meine neuesten Aufnahmen von Aperthospathula opimum zeigen und die Merkmale, welche zur Zuordnung geführt haben.
Apertospathula opimum wird in meiner Population ca. 150 – 250 µm lang. Kahl gibt 200 – 300 µm an. Die Art ist im Simmelried recht häufig und auch Kahl hat ihn oft gefunden. Er schwimmt recht gemächlich und dreht sich dabei um die eigene Achse. Er ist leicht zu untersuchen, da die Zelle meist schön transparent ist und nicht deckglasempfindlich. Hier frei schwimmende Exemplare in verschiedenen Ansichten:
KI = Kineten
MW = Mundwulst
Ma = Makronukleus
KV = kontraktile Vakuole
Die Nähe zu Spathidium ist durch den ausgeprägten, messerförmigen Mundwulst unverkennbar. Dieser zieht auf der ventralen Seite nach unten. Sehr auffällig ist, dass alle Exemplare den Mundwulst nach rechts neigen, wie ein geneigter Kopf. Leider beschreibt Kahl das nicht, sondern erwähnt etwas verklauselt „Vorderabschnitt komprimiert und beim rotieren verbogen“. Legt man den Fokus auf die Pellikula (2. Bild von links), erkennt man die weite Streifung der Kineten, den Cilienreihen, welche für den Vortrieb verantwortlich sind. In dorsaler Ansicht erkennt man die Dorsalbürste als faltige Struktur, allerdings noch ohne Details. In links lateraler Ansicht erkennt man die Form der gerundeten, spatelförmigen Mundöffnung, die mit vielen langen Extrusomen besetzt ist.
Hier noch ein Foto eines festgelegten, 230 µm langen Exemplares. Das Exemplar war so groß, dass es bei Ölimmersion nicht mehr in die Bilddiagonale passte, weshalb das unten gezeigte Bild aus zwei Einzelbildern besteht. Es war völlig transparent, weshalb man sehr schön die dichte Besetzung des Mundwulstes mit den sehr langen Extrusomen sehen kann. Man erkennt auch mehrere Mikronuklei, die in dem Makronukleus eingesenkt liegen. Auf gleicher Höhe mit dem Makronukleus erkennt man ein dichtes Bündel von parallel angeordneten Extrusomen. Dies ist ein Vorrat an Extrusomen, die der Ciliat meist im hinteren Körperdrittel lagert und der typisch für Apertospathula opimum ist:
Mi = Mikronukleus
Ma = Makronukleus
EX = Extrusome
KV = kontraktile Vakuole
Warum hat Foissner diesen Ciliaten nun zu Apertospathula gestellt und nicht zu Spathidium? Bei der genauen Untersuchung der Spathidiida mit Silberimprägnierung ist ihm aufgefallen, dass die circumorale Kinete unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Es handelt sich um eine Cilienreihe, die wie eine Perlenkette um den Mundwulst liegt. Man kann sie auch bei Apertospathula sehen:
DB = Dorsalbürste
CK = circumorale Kinete
Bei Spathidium ist die Kette geschlossen und liegt wie ein vollständig geschlossener Ring um den Mundwulst. Bei Aperthospathula dagegen, ist sie ventral nicht geschlossen und ist zudem auf der rechten Seite länger als auf der linken. Man muss sich das so wie einen nicht gebunden Schlips vorstellen, der unterschiedlich lang um den Hals hängt. In der schematischen Zeichnung sieht das so aus:
Ohne Silberimpägnierung ist der Verlauf der circumoralen Kinete nur mit Ölimmersion zu sehen und man sollte auch wissen, wonach man sucht. Im folgenden die ventrale Ansicht der circumoralen Kinete von Apertospathula opimum. Die Pfeile kennzeichnet das jeweilige Ende der Kinete auf der rechten und linken Seite:
MS = Mundspalt
RCK = rechtes Ende der circumorale Kinete
LCK = linkes Ende der circumoralen Kinete
Man erkennt deutlich, dass die circumorale Kinete tatsächlich vorne offen ist und zudem auf der rechten Seite länger ist als der linken Seite. Das kann also nur Apertospathula sein!
Meistens enthält Apertospathula opimum einige coccale Algen. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eigene Zoochlorellen, sondern um die Zoochlorellen seiner Beuteorganismen, die mit verdaut werden. Presst man ein Exemplar, kann man erkennen, dass die vermeintlichen Zoochlorellen sich in Nahrungsvakuolen befinden:
NV = Nahrungsvakuolen
Mi = Mikronuklei
Ma = Makronukleus
Auf dem Foto oben kann man auch den ca. 60 µm langen, cylindrisch geformten Makronukleus gut erkennen und die darum angeordneten Mikronuklei. Nach Kahl sollen es 2 –3 sein. Ich konnte jedoch auch Exemplare mit 4 Mi finden.
In dem gepresstem Exemplar kann man auch den Extrusomenvorrat dieses Ciliaten genauer betrachten. Die Extrusomen sind ca. 40 µm lang und völlig gerade wie ungekochte Spagetti und manchmal auch schwach gebogen, was typisch für Apertospathula ist. Das Apertospathula einen Vorrat angelegt, um schnell „nachladen“ zu können, ist eine interessante evolutionäre Anpassung, wenn der Beutekontakt nur in großen Abständen erfolgt, dann aber vielleicht gehäuft. Die Extrusome scheinen dabei in einer Spezialvakuole gelagert zu sein. Ob dies auch der Bildungsort ist, lässt sich wahrscheinlich nicht ohne weiteres beantworten:
VEX = Vorrat Extrusomen
Nur selten findet man Exemplare, die offensichtlich kurz vorher etwas gefressen haben. Ich selbst konnte noch nie einen Fressvorgang verfolgen, aber bei dem folgenden Exemplar muss das kurz vorher phagozytierte Opfer pink gewesen sein:
Eventuell war Vasicola ciliata hier das Opfer. Dieser Ciliat lebt hauptsächlich von Purpurbakterien. Eine andere mögliche Beute könnte die pinkfarbene Variante von Pseudoblepharisma tenue gewesen sein, welcher Purpurbakterien als Symbionten beherbergt. Beide Arten sind mit Apertospathula opimum vergesellschaftet
An gequetschten Exemplaren von Apertospathula opimum kann man auch die Dorsalbürste genauer betrachten. Wie schon auf dem oben gezeigten Foto in dorsaler Ansicht zu sehen ist, liegt die Dorsalbürste oft in Furchen und schließt sich „im Nacken“ direkt an den Mundwulst an. Die evolutionäre Herkunft und Funktion der Dorsalbürste ist unbekannt, aber die meisten holotrichen Ciliaten besitzen eine und es ist ein wichtiges Bestimmungsmerkmal. Man kann sie besser am gequetschten Exemplar erkennen, weil dann die kurzen Spezialcilien aus den Furchen herausgedrückt werden. Auf der folgenden Aufnahme erkennt man sehr schön, dass die Spezialcilien von Apertosphatula opimum keulenförmig sind:
DB = Dorsalbürste
Soweit zur meiner kleinen Historie von Apertospathula opimum. Viel Spass beim anschauen!
Martin
Apertospathula opimum
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Apertospathula opimum
Zuletzt geändert von MartinKreutz am 31. Januar 2017, 20:37, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Apertospathula opimum
Hallo Martin,
vielen Dank für diesen tollen Beitrag. Vor allem beeindruckt es mich jedes mal, wie gründlich und zielgerichtet Dein Vorgehen ist. Das kann man für sich selbst als (noch weit entferntes) Ziel setzen.
Viele Grüße
Michael
vielen Dank für diesen tollen Beitrag. Vor allem beeindruckt es mich jedes mal, wie gründlich und zielgerichtet Dein Vorgehen ist. Das kann man für sich selbst als (noch weit entferntes) Ziel setzen.
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Re: Apertospathula opimum
Hallo Michael, hallo Ole,
vielen Dank für euer Lob. Na ja, 6 Jahre bis zur Zuordnung ist ja nicht gerade zielgerichtet! Ich würde es eher eine gewisse Hartnäckigkeit nennen. Natürlich freue ich mich jedes Mal, wenn ich einen Fund endlich korrekt benennen kann. Auf dem Weg dahin lernt man oft Neues dazu, was dann den Weg zur Zuordnung anderer Funde öffnet. Und da warten noch viele harte Fälle auf ihre Zuordnung!
Wünsche euch einen schönen Abend!
Martin
vielen Dank für euer Lob. Na ja, 6 Jahre bis zur Zuordnung ist ja nicht gerade zielgerichtet! Ich würde es eher eine gewisse Hartnäckigkeit nennen. Natürlich freue ich mich jedes Mal, wenn ich einen Fund endlich korrekt benennen kann. Auf dem Weg dahin lernt man oft Neues dazu, was dann den Weg zur Zuordnung anderer Funde öffnet. Und da warten noch viele harte Fälle auf ihre Zuordnung!
Wünsche euch einen schönen Abend!
Martin