Spathidium 69 - Ein neuer haptorider Ciliat

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MartinKreutz
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Spathidium 69 - Ein neuer haptorider Ciliat

#1 Beitrag von MartinKreutz » 6. April 2016, 19:29

Liebes Forum,

ich möchte hier mal eines von vielen Beispielen zeigen, mit denen ich mich hier beschäftige. Seit vielen Jahren durchpflüge ich das Simmelried und habe gelernt, verdächtig erscheinende Funde sofort zu erkennen. Dadurch habe ich in über 20 jahren sehr viele neue und unbeschriebene Arten finden können. Sehr oft habe ich nur ein einiziges Exemplar von diesen neuen Arten in all dieser Zeit finden können, obwohl ich schon viele tausend Proben untersucht habe. Meist sind es neue Ciliaten, da ich durch meinen Kontakt zu Wilhelm Foissner auf diesse Gruppe der Protisten ziemlich eingeschossen bin.

Hier ein außergewöhnlicher Fund vom 4. April 2015. Ein haptorider Ciliat, wie ihn weder ich noch Foissner je gesehen haben. Ich habe nur ein einziges Exemplar gefunden, welches ich provisorisch "Spathidium 69" genannt habe. Der Ciliat ist bewaffnet bis an die Zähne! Die Extrusome sind so groß, dass sie wie Haifischzähne aus dem Vorderende hervorragen. Diese 16 µm langen "Riesenextrusome" sind von einer Ansammlung hochbrechender Vesikel umgeben (evtl. mit Verdauungsenzymen). Direkt dahinter, mit Kontakt zu den "Riesenextrusomen", schließt sich der "geschwungen" geformte Makronukleus mit einem sehr kleinen Mikronukleus an. Interessanter Weise ist der Makronukleus posterior vom restlichen Plasma durch eine klar erkennbare, hyaline Zone getrennt. Neben den "Riesenextrusomen" konnte ich noch 12,5 µm lange, tropfenförmige Extrusome finden und 4,6 µm lange Stäbchen, bei denen es ich aber wahrscheinlich um symbiotische Bakterien handelt und nicht um Extrusome. Der Ciliat war 90 µm lang und besaß 17 µm lange Cilien. Die Dorsalbürste schien mir aus "keulenförmigen" und "lappenförmigen" Spezialborsten zu bestehen. Außerdem war der Ciliat im vorderen Drittel mit pilzförmigen Papillen besetzt. Die Oberfläche war stark längsgefurcht. Er schwamm sehr langsam, eher "paddelnd". Die Diagnose von Wilhelm lautet: neue Gattung, neue Art. Unten habe ich auf 3 Tafeln meiner Fotos zusammengestellt, damit ihr mal sehen könnt, wie so was aussieht. Auf den 3 Tafeln könnt ihr auch meine Vorgehensweise bei der Untersuchung gut verfolgen. Zuerst fertige ich Fotos von dem frei schwimmenden Exemplar an (wenn das nach Auflegen des Deckglases noch möglich ist). Dann lasse ich das Wasser verdunsten und mache fortwährend weitere Fotos (löschen kann man immer noch). Man muss bis zum Schluss warten, bis die Extrusome frei und flach liegen. Sie sind wichtige Bestimmungsmerkmale. Noch kann keiner sagen was es ist, aber wenn "Spathidium 69" tatsächlich nochmal gefunden wird, dann helfen diese Fotos um zu prüfen, ob wirklich identische Arten beobachtet wurden.

Viel Spass beim anschauen!

Martin

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Re: Spathidium 69 - Ein neuer haptorider Ciliat

#2 Beitrag von Monsti » 6. April 2016, 19:54

Hallo Martin,
Noch kann keiner sagen was es ist, aber wenn "Spathidium 69" tatsächlich nochmal gefunden wird, dann helfen diese Fotos um zu prüfen, ob wirklich identische Arten beobachtet wurden.
Deshalb halte ich es auch für wichtig, dass solche Funde wieder auffindbar dokumentiert sind. Und ja, solche Fotos helfen sehr, vielen Dank dafür. Und natürlich ist die Doku wieder super, auch wenn es mir direkt weh tut, wenn ich die Tierchen in der letalen Auflösung sehe ...

OT: Ein wenig vergleichbar geht es mir gerade mit dieser Desmidiacee --> http://www.mikro-tuemplerforum.at/viewt ... p=738#p738

Liebe Grüße
Angie
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Re: Spathidium 69 - Ein neuer haptorider Ciliat

#3 Beitrag von Nostoc » 7. April 2016, 17:30

Hallo Martin,
dies ist für mich ein in zweierlei Hinsicht wichtiger Beitrag ! Zum einen wegen deiner Neuentdeckung dieses „hochgerüsteten“ Ciliaten, zum anderen, weil du zusätzliche Einblicke in deine Arbeitsmethode gewährst. Neu ist für mich die Kombination aus Lebendbeobachtung und, salopp ausgedrückt, anschließendem „Sektionsbericht“. Ich habe zerquetschte Zellen aus Unkenntnis bisher eher als „Betriebsunfall“ betrachtet und dieser Informationsquelle, abgesehen von Rädertier-Kauern, zu wenig Beachtung geschenkt.
Aus den Längenangaben bei den Extrusomen schließe ich, dass die Dimension dieser Zellbestandteile in eine Art biometrisches „Extrusomen-Muster“ eingeht?

Falls dich die folgenden trivialen Fragen im Rahmen dieses „Fadens“ stören, lass es mich bitte wissen!

Frage zum Thema Deckglas:
Deine Präparationsmethode steht und fällt, wenn ich das richtig verstanden habe, mit einer kontinuierlichen Veränderung der den Ciliaten umgebenden Wassersäule.
Die von der Kamera aufgenommene Information folgt quasi dem „Deckglasdruck“.

Aus deinen großartigen „Lehrvideos“ zum Thema Präparation habe ich in diesem Punkt großen Nutzen ziehen können. Abgesehen von der Tatsache, dass einige Ciliaten apriori, von Natur aus, eine große Deckglasempfindlichkeit zeigen, scheitere ich auch bei „robusteren“ Arten zu häufig schon beim Auflegen eines Deckglases. Ich weiß es klingt etwas „absurd“ bzw. „dumm“, aber trotz eines sehr reichlich bemessenen Probentropfens, sensibler Vorgehensweise und einiger Übung finde ich viele Ciliaten bereits beim ersten Blick durchs Mikroskop im Stadium 6 bzw. 7 deiner Bilder von Spathidium vor ……….
Kann eventuell eine andere Deckglasgröße (ich verwende 18x18mm) Abhilfe schaffen?
Wie legst Du die Deckgläser auf?

Frage zum Thema Beschriftung:
Mit welchem Programm ermittelst du die Objektlängen und wie überträgst du die Zahlenangaben ins Bild?

Richard

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Re: Spathidium 69 - Ein neuer haptorider Ciliat

#4 Beitrag von MartinKreutz » 7. April 2016, 19:25

Hallo Richard,

das mit dem zerquetschen der Ciliaten (nicht nur Ciliaten) ist sehr wichtig, um alles zu sehen. Erst dann erreicht die Optik die höchste Auflösung und viele Dinge werden dann erst sichtbar (z.B. der Mikronukleus). Für eine Diagnose zur Bestimmung braucht man all diese Daten. Bei den Haptoriden sind die Extrusome und die Dorsalbuürste enorm wichtig, sonst ist eine Bestimmung fast nicht möglich. Auch Symbionten (Zoochlorellen, Bakterien) werden erst nach dem Quetschen richtig gut sichtbar. Dafür ist es notwendig das Obhjekt möglichst sauber zu isolieren. Das habe ich im Mikroskopie Forum schon öfters gezeigt, wie ich das mache. Das Auflegen des Deckglases ist in der Tat ein kritischer Moment. Bei sehr seltenen Objekten darf da nichts schief gehen! Ich benutze seit > 20 Jahren ausschließlich 24 X 32 mm Deckglasgröße. Schon alleine durch das Fläche zu Rand Verhältnis ist bei dieser Deckglasgröße die Wahrscheinlichkeit größer, dass das Objekt in der Fläche zum liegen kommt und nicht am Rand, wo man es nur schwer "retten" kann. Die benötigte Wassermenge habe ich durch tausende Versuche "im Blut", da denke ich einfach nicht mehr drüber nach. Aber lieber mehr als weniger. Abziehen kann man immer noch. Beim auflegen auf keinen Fall drauffallen lassen, sondern das Deckglas gleichmäßig, parallel zum Objektträger absenken, so das der Tropfen bei Berührung nicht zu einer Kante läuft und dann mit den zwei Fingern vorsichtig absenken und erst im letzten Millimeter fallen lassen. Ich kann es schwer erklären, obwohl ich es so oft mache. Man muss es etwas üben, vielleicht an einem Heuaufguss, wie der Effekt so ist. Natürlich habe ich auch schon einige schöne Funde "verheizt", aber meistens klappt es.

Die Objektlängen bestimme ich mit Photoshop. Ich habe nach jeder Adaption einer neuen Kamera (das ist meine dritte) ein Objektmikrometer mit allen Objektiven fotografiert. Dann messe ich mit der Linealfunktion in PS den Abstand zwischen den Skalierungen und erstelle daraus per Dreisatz eine Kalibriertabelle die hier neben meinem PC klebt. Ich messe dann einfach mit dem elektronischen Lineal die Länge in Pixel und rechne daraus mit dem Taschenrechner die Länge. Das kann man auch irgendwie automatisieren. Michael Plewka hat das im Mikroskopie Forum mal gezeigt. Aber ich bin ein altes Gewohnheitstier und bleibe bei meiner Methode.

Schönen Abend!

Martin

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Re: Spathidium 69 - Ein neuer haptorider Ciliat

#5 Beitrag von Nostoc » 8. April 2016, 08:58

Hallo Martin,

vielen Dank für diesen Beitrag und deine sehr nützlichen Antworten !!!!!

Richard

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